Pamir und Pamila

 

In einem bitterarmen Dorf in Indien lebten einmal in ärmlichsten Verhältnissen die beiden Zwillingsgeschwisterkinder Pamir und Pamila mit ihrer Familie.

 

Die Familie war sehr groß und sie wuchs von Jahr zu Jahr. Die Mutter bekam beinahe jedes Jahr Nachwuchs und darüber machten sich die Eltern so langsam große Sorgen. Wie sollten sie diese große Familie nur ernähren es war bald nicht mehr möglich. Der schmale Lohn des Vaters, der in der nahen Zuckerrohrplantage von morgens bis Abends schwer arbeitete und davon schon ganz ausgezehrt war, reichte zum Leben kaum mehr aus.

 

Die Mutter von Pamir und Pamila konnte auf der Plantage nicht mitarbeiten, weil die vielen noch sehr kleinen Geschwister ihre ganze Zeit und Fürsorge in Anspruch nahmen.

 

Sie lebten alle zusammen in einer selbst zusammengebauten, winzigen Lehmhütte, die ständig an allen Ecken und Enden geflickt und ausgebessert werden musste. Bald regnete es durch das mit Schilfrohr abgedeckte Dach herein, dann bröckelte wieder der poröse Lehm der Hauswände in tellergroßen Stücken ab. Eine Wasserleitung zu den Hütten gab es in diesem ärmlichen Dorf nicht. Wenn Wasser zum Trinken und zum Kochen gebraucht wurde dann musste man es aus dem weit entfernten Dorfbrunnen mühsam Eimer für Eimer heranschleppen. Wollte man die Wäsche waschen oder ein Bad nehmen so ging die ganze Familie zum nahegelegenen, heiligen Fluss um diese Waschungen vorzunehmen. Die täglichen Bedürfnisse verrichtete man in einer eigens dafür ausgehobenen Grube in einem Waldstück, das sich hinter dem Haus befand. Alle größeren Kinder der Familie sammelten im Wald nach Beeren, Wurzeln, Knollen und Kräutern, welche die Mutter zubereiten konnte. Die einzigen Nahrungsmittel die sie sich kaufen konnten waren Mehl und Milch nur für die kleinsten Kinder. Aus dem Mehl zauberte die Mutter dann alle Speisen, die sie mit den Kräutern des Waldes würzte und mit den anderen Waldzutaten anrichtete. Fleisch gab es in dieser Familie nie, das konnten sie sich einfach nicht leisten.

 

Im Hause war die einzige Lichtquelle das Tageslicht und so konnte man sich schon in der frühen Abenddämmerung nur noch im Schein der Kerzen in der Hütte aufhalten. Alle gingen deshalb schon bald schlafen um die teuren Kerzen und kleinen Flammhölzchen zu sparen.

In der Küche gab es nur eine offene Feuerstelle zum Kochen und das war auch gleichzeitig der bullernde Ofen, der in der kleinen Hütte die Wärme spendete. Das selbstgeschnitzte Besteck, die Holzteller und Tassen wurden in einem Holzzuber mit gewärmtem Wasser abgewaschen. Es gab nur einen großen Metallkessel in dem die Mutter kochte und der war an seinem Henkel mit Holzstangen über dem Feuer aufgehängt.

 

Die Wohnstube war auch gleichzeitig das Schlafgemach der ganzen Familie. Es gab dort nur selbstgeflochtene, aneinandergereihte Sisalmatten und ein paar alte Decken darüber, worauf die ganze Familie schlief. Am Tage wurden dort auf der Erde sitzend die Mahlzeiten eingenommen, dazu hatte der Vater einen länglichen, flachen Holztisch gezimmert.

Im Winter prasselten Tag und Nacht die duftenden Holzscheite in der offenen Feuerstelle um die klirrende Kälte von den dann nur mit Decken verhängten Fenstern und Türen abzuhalten. Zumindest Holz hatten sie genug, sie fanden die Scheite zu Hunderten als Abfallholz der Waldarbeiter, welche die gefällten Bäume gleich vor Ort im Wald verarbeiteten.

Spielzeug kannten die Kinder dieser Familie nicht, sie spielten deshalb mit allem was die Natur zu bieten hatte. Pamir hatte sich der Schnitzkunst verschrieben. Er hatte für sich selbst eine kleine Flöte geschnitzt, auf der er wunderbare Melodien zu spielen vermochte und Pamila seine Zwillingsschwester tanzte und hüpfte vergnügt und ausgelassen zu seinem Flötenspiel.

Die beiden waren die ältesten Geschwister der Familie und sie verband durch ihre gemeinsame Geburt sehr vieles miteinander. Nicht nur das sie sich glichen wie ein Ei dem anderen, nein sie hatten auch die gleichen Vorlieben und Abneigungen, sie dachten dasselbe, sprachen gleich und steckten zusammen wann immer sie konnten. Sie liebten sich von Herzen und einer konnte ohne den anderen nicht sein.

 

Nun trug es sich an einem späten Abend zu, das Pamir und Pamila ein sorgenvolles Gespräch der Eltern belauschten. Sie konnten wieder einmal gemeinsam nicht einschlafen, hatten unter den Tuchdecken noch miteinander gealbert als sie aus der Küche die Stimmen der Eltern vernahmen, die sich leise unterhielten. Der Vater sagte mit ernster Miene das wenn nicht ein Wunder geschähe er bald seine Arbeit verlieren würde. Der Zuckerbaron hatte allen Tagelöhnern mitteilen lassen, das er die Zuckerrohrplantage alsbald zu schließen gedenke, weil er mit seiner Familie aus dieser Einöde wegziehen werde.

 

Als die Mutter das vernahm, da schluchzte sie leise auf und antwortete mit tränenerstickter Stimme: „Aber mein guter Mann, wie soll es dann weitergehen, weit und breit gibt es keine Arbeit, von was sollen wir leben und unsere Kinder ernähren, wir werden alle verhungern.“ Der Mann senkte traurig den Kopf und nickte.

 

„Ja Frau, ich weiß, deshalb bete ich jeden Tag um ein Wunder, denn schon in einem Monat soll die Plantage geschlossen werden.“

Pamir und Pamila erschraken sehr, hatte es sie doch bislang nicht gestört, das sie vom Leben nie verwöhnt worden waren, sie kannten es nicht anders und vermissten auch nichts. Aber nun sollte das Wenige, das sie besaßen auch noch in Frage gestellt sein und alle sollten gar des Hungers sterben? Das konnten und wollten sie keinesfalls zulassen, es musste ihnen etwas einfallen und leise setzten sie so die halbe Nacht ihr angeregtes Gespräch fort, bis ihnen schließlich doch vor Müdigkeit die Augen zufielen.

 

Pamir hatte beim Wasserholen aus dem Dorfbrunnen von den anderen Dorfkindern gehört das der reiche Zuckerbaron nur einen einzigen Sohn hätte und dieser sehr krank sei. Niemand wüsste so genau, was er denn habe man glaube aber, er sei von bösen Geistern besessen, weil er nicht sprechen konnte und auch niemals lachen würde.

 

Das herrschaftliche Anwesen des Zuckerbarons war von einem weitläufigen, herrlichen Park umgeben, aber auch darin sah man den Sohn des Barons niemals spielen. Blass, müde und krank hatte ihn ein Dorfbewohner nur ein einziges Mal auf der Veranda des Villenhauses gesehen und man vermutete, er müsse im gleichen Alter sein, wie Pamir und Pamila.

 

Und noch vieles mehr trugen sich die Dorfbewohner zu, bekamen sie doch von den Scharen von Heilkundigen die der Zuckerbaron aus dem ganzen Lande zu sich rufen ließ immer wieder das Eine oder Andere zu hören. Sie berichteten freimütig, das dem kleinen Sohn des Zuckerbarons nicht zu helfen sei und der Baron wohl auch deshalb mit seiner Familie wegziehen wolle um zu sehen, ob eine Veränderung der Umgebung dem Sohn wohl gut tun könnte.

 

Als Pamir mit den gefüllten Wassereimern schwer prustend aus dem Dorf zurückkam, da erwartete ihn Pamila schon freudestrahlend.

Sogleich erzählte er ihr, was er erfahren hatte und sie schmiedeten gemeinsam einen Plan, wie sie die ganze Familie aus dieser misslichen Lage befreien könnten.

Sie beschlossen dem Sohn des Zuckerbarons zu helfen und ihnen würde auch noch einfallen wie sie das anstellen sollten. Sie beobachteten ein paar Tage lang das große schmiedeeiserne Tor und die hohe Mauer, die rund um das Grundstück des Zuckerbarons gezogen war.

 

Pünktlich früh morgens um sieben Uhr fuhren die Lieferanten und das zahlreiche Dienstpersonal , welches nicht dauerhaft im Hause lebte, durch das mächtige Tor in den Park ein und nachmittags so gegen fünf Uhr fuhren die letzten Bediensteten und Lieferanten wieder hinaus.

Als Pamir und Pamila dem Geschehen einige Tage zugesehen hatten, da beschlossen sie, sich hinter einen großen Busch vor dem Tor zu verstecken und heimlich, wenn er vorbeifuhr, von hinten auf das Trittbrett eines der großen Lieferwagen aufzuspringen.

Und so postierten sie sich schon am nächsten Morgen um sechs Uhr aufgeregt dem Wagen entgegenfiebernd hinter den Busch. Auf keinen Fall wollten sie seine Einfahrt in den Park an diesem Tage verpassen.

 

Um Punkt sieben Uhr fuhr das Tor vom Hause aus elektronisch gesteuert auf und der Lieferwagen fuhr langsam hindurch. Flugs sprangen Pamir und Pamila auf das Trittbrett und machten sich ganz klein.

Bevor der Wagen vor der großen Einfahrt des Hauses endgültig zum Stehen gekommen war, hüpften die beiden schnell vom Trittbrett herunter und schlüpften eilig hinter das schützende Dickicht einer hohen Hecke.

 

Niemand hatte sie bemerkt und sie atmeten erleichtert auf. Sie blickten sich erst einmal verstohlen um, denn nie zuvor hatten sie das prachtvolle Innere des Parks gesehen, zu hoch war die Mauer, die den Park umgab. Da staunten sie nicht schlecht als sie sich so umsahen, blühende Blumenrabatten eiferten mit verspielten Teichen um die Wette.

Steinerne Tierfiguren aus denen ein glitzernder Wasserstrahl spritzte ergossen ihr kühles Nass in kleine Wasserläufe, die spielerisch bunte Holzpavillons umflossen. Von dort führten bogenförmige Holzbrücken und kleine Treppen über die schmalen Wasseradern. Sie mündeten in dem hellgrünsten und saftigsten Gras das die beiden ärmlichen Kinder jemals gesehen hatten. Weiter hinten im Park stand noch eine luftige Schaukel und anderes Spielgerät umgeben von einem Palmenhain.

 

Pamir und Pamila waren von den vielen schönen und kostbaren Dingen denen sie gewahr wurden so überwältigt, das sie fast ihre eigentliche Aufgabe vergessen hätten. Sie waren schließlich nicht hier um sich an diesen herrlichen Anblicken zu erfreuen, sie wollten nur eiligst dem Sohn des Zuckerbarons helfen. Obwohl sie nicht verstehen konnten wie er unter all diesen wunderbaren Dingen, die er doch besaß so krank und einsam hatte werden können.

 

Sie verfolgten mit ihren Blicken das stabile Geäst der hohen Hecke und sahen das diese direkt bis an die Veranda der Villa reichte. Die Veranda im ersten Stock führte rund um das Gebäude herum und war mit einem hübsch geschnitzten Holzgitter verziert umgeben. Noch einmal sahen sich Pamir und Pamila ängstlich um aber niemand konnte sie hinter der dichten Hecke sehen, und so kletterten sie Ast für Ast die Hecke hinauf, bis sie das Holzgitter der Veranda erreicht hatten. Einer nach dem anderen sprang über das Gitter und sie drückten sich dort eng an die Wand um von unten nicht gesehen zu werden. Pamila wagte einen ersten Blick durch ein geöffnetes Fenster der Villa. Da lag in einem prachtvollen Himmelbett das mit einem goldenen Baldachin überspannt war, auf vielen weichen Kissenbergen gebettet und tief schlafend der blasse Sohn des Zuckerbarons. So viele kostbare Dinge hatte Pamila noch nie zuvor gesehen. Da stand ein großes Holzpferdchen mit langer Goldmähne das auf Kufen hin und herwippen konnte und bereits gesattelt war, wie für einen bevorstehenden Ausritt. Bunte Bilder hingen an den Wänden und unzählige kuschelige Tierchen saßen in den Regalen. Große Holzkisten quollen von reichen Spielzeugen, die sich darin befanden geradezu über.

 

Pamila berichtete dem ungläubig staunenden Pamir gerade darüber, was für wahre Schätze sie während des kurzen Blickes in das Zimmer bereits entdeckt hatte, als sie das Knarren der Holztreppe und herannahende Stimmen vernahmen.

Sie schlichen schnell flach an die Wand gedrückt um die Ecke der Veranda herum, damit sie nicht gesehen wurden. Als die kleine Gruppe von Bediensteten im Zimmer des Jungen verschwunden waren, da wagten sie sich wieder unter sein Fenster, um zu hören, was drinnen vor sich ging. Und wieder staunten Pamir und Pamila nicht schlecht als sie vernahmen das die Damen sich rührend um den stummen Jungen kümmerten.

 

Sie weckten ihn auf, halfen ihm beim Ankleiden, schüttelten sein Bett auf und luden ihn freundlich ein, sich nach seinem Morgengebet doch bitte im Frühstückssalon einzufinden, da dort der gnädige Herr Papa und die liebe Frau Mama bereits auf ihn warten würden. Dann entfernten sie sich eilig wieder und jetzt sahen Pamir und Pamila ihre Chance gekommen. Auch sie gingen jetzt geradewegs durch die Verandatür ins Zimmer des Jungen hinein und er sah die Beiden ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen an, aber er sprach kein Wort. Die beiden mutigen Kinder traten vor den Jungen stellten sich kurz vor und baten ihn, ihrer Darbietung einen Moment lang Gehör und Aufmerksamkeit zu schenken, sie wollten ihn damit ein wenig aufheitern und erfreuen. So setzte er sich artig und gespannt auf sein Bett zurück und ließ die beiden gewähren.

 

Pamir holte seine selbstgeschnitzte Flöte hervor, setzte sie an den Mund und begann mit seiner ganzen Hingabe zu spielen. Pamila holte zwei zartdurchwirkte bunte Tücher aus ihrer Tasche hervor und fing an sich in anmutigen Bewegungen hingebungsvoll zum Spiel der Flöte zu bewegen. Da staunte der kleine Junge und zum ersten Mal in seinem Leben huschte ein flüchtiges Lächeln über sein fahles Gesicht.

 

Als Pamir und Pamila entdeckten, das ihre Darbietung dem kleinen Jungen zu gefallen schien, da wollten sie gar nicht mehr aufhören und steigerten sich von Mal zu Mal. Pamir legte sein ganzes Herzblut in das Flötenspiel und Pamila drehte und wirbelte dazu mit den flatternden, bunten Tüchern wild im Kreise. Die drei Kinder waren so in dieses vergnügliche Spiel vertieft, das sie nicht bemerkten, das der Vater des Jungen, der mächtige Zuckerbaron, verdutzt und ungläubig an der Zimmertüre stehen geblieben war. Er hatte sich im Frühstückssalon über das Ausbleiben seines Sohnes gewundert und wollte sich nach seinem Verbleib erkundigen. Als er in die Türe trat und die zwei fremden Kinder dort sah, wollte er sich zunächst wütend auf sie stürzen, weil er für einen Moment seinen Sohn in Gefahr glaubte. Aber ein paar Sekunden hatte er doch gezögert und als er dann in das gelöste und lächelnde Gesicht seines Sohnes sah, da wurde ihm ganz warm ums Herz und die Tränen schossen ihm aus den Augen. Niemals zuvor hatte er diesen Ausdruck im Gesicht seines Sohnes Kabir gesehen und schon gar kein Lächeln hatte es jemals zu dieser Gelöstheit verzaubert.

 

Plötzlich entdeckte auch Pamir den in der Türe lehnenden Zuckerbaron erschrak zu Tode und brach abrupt sein Flötenspiel ab, daraufhin blieb auch Pamila wie vom Donner gerührt stehen. Sie hatten furchtbare Angst was nun mit ihnen geschehen würde und wagten kaum zu atmen.

 

Doch der Zuckerbaron kam mit freundlichem Blick auf sie zu und fragte die verduzten Kinder, wie sie denn in das Zimmer Kabirs gelangt seien, woher sie überhaupt kämen und was sie hier zu suchen hätten. Kabir der Sohn des Zuckerbarons war die ganze Zeit schweigend und wie erstarrt auf seinem Bett sitzen geblieben, der gewohnte leere Blick war in sein blasses Gesicht zurückgekehrt. Pamir und Pamila sahen sich zunächst durchdringend an bevor Pamir auf die Frage des Zuckerbarons antwortete:

„Ach Herr, wir sind nur zwei arme Dorfkinder und haben von der schlimmen Krankheit Ihres Sohnes gehört, da wollten wir ihn ein wenig aufheitern, damit es ihm besser geht“

 

Der Zuckerbaron nahm dies wohlwollend zur Kenntnis, ließ jedoch einen Diener rufen und wollte die beiden Kinder von diesem wieder zum Haus und aus dem Park hinausgeleiten lassen. Als der Diener Pamir und Pamila an der Hand nehmen wollte um sie aus dem Zimmer zu führen, da sprang der kleine Kabir von seinem Bett herunter und stürzte sich wild fuchtelnd auf den Diener um ihn an seinem Vorhaben zu hindern. Der Diener ließ die beiden Kinder los und sie stellten sich vor Kabir.

 

Pamila fragte ein wenig schüchtern, ob Kabir vielleicht wünsche das sie blieben oder zu einem anderen Zeitpunkt wiederkommen sollten, da nickte der kleine Kabir heftig mit dem Kopf und sah seinen Vater flehentlich an. Als dieser bemerkte, wie viel seinem Sohn an diesen Kindern gelegen war, erlaubte er ihnen am nächsten Nachmittag für zwei Stunden Kabir zu besuchen.

Ungehindert konnte der Diener die beiden nun vor das mächtige Tor geleiten und versprach ihnen, sie am nächsten Tag zur selben Zeit wieder dort abzuholen. Pamir und Pamila freuten sich sehr über ihren geglückten Plan, sie hatten den kleinen Kabir sofort in ihr Herz geschlossen und waren freudig gespannt darauf, ihn schon am nächsten Tage wiederzusehen.

 

Ihren Geschwistern und den Eltern erzählten Pamir und Pamila nichts von dem Erlebten, sie hatten untereinander abgesprochen das erst einmal für sich zu behalten. In dieser Nacht schliefen die beiden unruhig, sie wälzten sich hin und her und konnten es kaum erwarten, am nächsten Tag ganz offiziell in die Villa des Zuckerbarons eingeladen zu sein.

Und so erging es auch dem kleinen Kabir, er fieberte dem Kommen der Beiden förmlich entgegen und war so aufgeweckt wie nie. Seine sonst so blassen Wangen färbten sich vor lauter Aufregung rosa und das nahm besonders seine Mutter beglückt wahr. Sie hatte ihren Sohn noch nie so munter erlebt.

 

Am nächsten Nachmittag fanden sich Pamir und Pamila pünktlich ein und wie versprochen, stand auch der Diener, der sie gestern hinausbegleitet hatte, schon wartend am Tor.

Auch Kabir erwartete die Beiden schon und wieder spielte Pamir herzergreifend die Flöte und Pamila drehte sich mit den bunten Tüchern dazu im Kreise.

 

Diese Einladungen in die herrschaftliche Villa wurden nun tagelang zum festen Bestandteil und Zeitplan im Leben der drei Kinder.

Eines Nachmittags war auch die Mutter des kleinen Kabirs zugegen um sich die zauberhafte Vorstellung der beiden Dorfkinder mitanzusehen, da klatschte Kabir plötzlich wild im Takt in die Hände und rief aus:

„Bravo, lieber Pamir spiel die Flöte noch ein wenig lauter und Du Pamila dreh Dich schneller noch dazu im Kreise“

Dazu juchzte er ausgelassen und hatte wieder vor Freude gerötete Wangen. Seine Mutter wollte ihren Ohren kaum trauen und starrte ihren Sohn fassungslos an, er hatte gesprochen, er hatte wirklich etwas gesagt, sie konnte es kaum glauben.

Sie rief ihren Mann und die vertraute Dienerschaft hinzu und alle konnten sich von Kabirs vollständiger Genesung überzeugen.

Nun fragte die Mutter ihren Sohn in dem sie ihm tief in die Augen blickte:

„Kabir warum hast Du nie gesprochen, was haben wir Dir angetan?“ Und Kabir antwortete ein wenig schuldbewusst:

„Mutter, Vater es tut mir leid, das ich Euch diesen großen Kummer bereitet habe, aber ich war so einsam tief in meinem Herzen.

 

Ihr habt mir geschenkt und mich überschüttet mit Allem, was immer ein Kinderherz sich nur wünschen konnte. Aber vor lauter Sorge ich könne Schaden an irgendetwas nehmen, habt ihr mich von allen anderen Kindern getrennt. Ich durfte niemals einen Freund haben und mit anderen Kindern herumtollen und ausgelassen spielen. Ich weiß, Ihr habt es gut gemeint und aus Angst um mich so gehandelt, aber ich wurde dadurch immer einsamer und kränker und wollte nicht mehr sprechen.

Da sahen sich die Baronin und der Baron tieftraurig an und sie erkannten ihren großen Fehler, den sie Kabir angetan hatten. Die Mutter nahm Kabir schluchzend in ihre Arme und der Baron fragte Pamir und Pamila welchen großen Wunsch sie hätten, er würde ihnen für die Heilung seines Sohnes alles geben, wonach sie verlangten. Da trat Pamila einen Schritt vor, sah dem Zuckerbaron fest in die Augen und sagte:

„Herr Zuckerbaron, wir sind die zehnten Kinder einer sehr armen Familie. Unser Vater arbeitet für sie in der Zuckerrohrplantage, die sie bald schließen, weil ihr lieber Sohn so sehr erkrankt war, das sie mit ihm an einen anderen Ort weit von hier fortziehen wollten. Aber nun ist er wieder gesund und sie brauchen die Plantage nicht zu schließen. Wenn mein Vater keinen Lohn mehr nach Hause bringt werden wir alle verhungern, weil es keine andere Arbeit für ihn in dieser Gegend gibt. Wir bitten Sie von Herzen das Sie mit Ihrer Familie hier bleiben und unser Vater dadurch seine Arbeit behält.“

 

Jetzt wagte auch Pamir einen Wunsch zu äußern und er wünschte sich, das sie auch weiterhin täglich mit dem kleinen Kabir spielen dürften.

Der Zuckerbaron war nun sehr verlegen, tief hatte ihn die Rede der kleinen Pamila bewegt, hatte er sich doch um seine Tagelöhner und deren Familien niemals Gedanken gemacht. Er war auch zu keiner Zeit im Dorf gewesen um sich nach den Familien, die dort lebten zu erkundigen. Zu wichtig und zeitraubend waren ihm seine Geschäfte mit der Auslieferung des verarbeiteten Zuckerrohrs nach Übersee gewesen.

Er erbat sich bei den beiden Kindern noch eine Weile Bedenkzeit und schickte sie erst einmal wieder nach Hause. Für sich beschloss er, noch an diesem Nachmittag ins Dorf zu gehen und sich nach dem Befinden der Menschen dort zu erkundigen. Als er sich in seinem hochherrschaftlichen Wagen durch die aufgeweichten Schlammwege des Dorfes fahren ließ und die im Dreck spielenden, unzähligen Kinder sah, die in diesen ärmlichen Hütten mehr hausten als lebten, da schämte er sich zutiefst für seine Verantwortungslosigkeit und sein bisheriges Handeln.

 

Er ließ Pamir und Pamila zu sich rufen und übergab Ihnen ein Schriftstück, das sie an jeder Hütte des Dorfes verlesen sollten, bis es auch der letzte Dorfbewohner zu hören bekommen hätte. Die beiden Kinder folgten seinem Geheiß und verlasen laut an der ersten Hütte angekommen die Worte des Zuckerbarons:

„Die Zuckerrohrplantage wird Euch weiterhin ernähren und das weit besser als bisher. Alle Plantagenarbeiter erhalten mehr Lohn und wir lassen das ganze Dorf niederreißen um Euch menschenwürdige Häuser und Straßen zu erbauen. In der Bauzeit des neuen Dorfes heiße ich Euch in den Quartieren unserer Dienerschaft im Hause herzlich willkommen, Ihr werdet so lange alle unsere Gäste sein.“

 

Und wenn Ihr Euch nun fragt, wem oder was Ihr diese glückseligen Umstände zu verdanken habt, so fragt Pamir und Pamila, die beiden besten Freunde meines gesunden Sohnes Kabir nach dem Grund.

Als Pamir und Pamila diese Zeilen zu Ende gelesen hatten, da waren sie gerührt vor Freude über die gütigen Worte und das gute Vorhaben des Zuckerbarons und mit ihnen freuten sich und feierte das ganze Dorf.

Sie durften fortan ihren kleinen Freund Kabir so oft und so lange besuchen, wie sie es nur wünschten.

 

Von:                                                        Sabine Stankowitz

Geschrieben am:                            28.11.2002



Anmerkung:
Derlei Märchen in kürzerer oder auch längerer Form habe ich seinerzeit über 30 geschrieben und könnte so etwas mit viel Phantasie und Kreativität jederzeit wieder schreiben.  Auch gerne mit märchenhaften Themen nach eigenen Wünschen!